Hohe Ertragsverluste bei Zuckerrüben durch Schädlingsbefall – Hilferuf der Landwirtschaft an die Politik

Besonders die Landwirte in der Westschweiz sind massiv von der Zuckerrüben-Krankheit «Viröse Vergilbung» betroffen, da ein wichtiges Pflanzenschutzmittel nicht mehr zugelassen ist. Es drohen massive Ertragsausfälle, die Wirtschaftlichkeit des Anbaus und damit die Existenz ist in Frage gestellt. Die Branche drängt auf rasche Lösungen, um die Zukunft der einheimischen Zuckerproduktion sicherzustellen.
2020 war ein Blattlausjahr. Die ungewöhnlichen klimatischen Bedingungen förderten eine massive Vermehrung, dagegen konnten sich viele Nützlinge aufgrund der Kälteperioden im Frühjahr nur langsam entwickeln. Besonders die Zuckerrüben haben unter dem Befall mit der grünen und der schwarzen Blattlaus zu leiden. Das grösste Problem dabei ist nicht, dass sich die Insekten vom Pflanzensaft ernähren, sondern dass sie gefährliche Viren übertragen, welche die gefürchtete viröse Vergilbung der Zuckerrüben verursachen. Dabei kommt es zu grossflächigen gelben Verfärbungen der Blätter, die Photosynthese der Pflanzen – und damit ihre Fähigkeit, Sonnenenergie für die Zuckerproduktion zu nutzen – wird massiv beeinträchtigt. Das führt zu einem deutlich reduzierten Rübenwachstum und zu einem niedrigen Zuckergehalt.
Dramatische Ertragsverluste
Laut Josef Meyer, Präsident Schweizer Zuckerrübenpflanzer SVZ, sind zwischen Bern und Genf 80-90 % der Felder befallen. Hier müsse mit Mindererträgen von bis zu 50% gerechnet werden. Aber auch in den anderen Landesteilen ist regional ein starker Befall sichtbar, z. B. im Rheintal. Das zeigt, dass sich das Virus in der ganzen Schweiz ausgebreitet hat und es bei einer erneuten starken Vermehrung der Blattläuse in den kommenden Jahren zu einer flächendeckenden Epidemie kommen könne. Die drohenden wirtschaftlichen Verluste könnten immer mehr Landwirte dazu bewegen, den Zuckerrübenanbau aufzugeben und auf andere, weniger gefährdete Kulturen auszuweichen. Dieser Trend, der sich schon seit einigen Jahren abzeichnet, könnte die wirtschaftliche Auslastung der beiden Zuckerraffinerien in der Schweiz in Frage stellen und damit die Zukunft der inländischen Zuckerproduktion. Damit drohe die totale Abhängigkeit vom Ausland, die Schweiz sei dann auf den Import von weniger nachhaltig produziertem Zucker angewiesen.
Ursache: ungenügender Pflanzenschutz
Die starke Blattlaus-Vermehrung in diesem Jahr und damit die Ausbreitung der virösen Vergilbung bei Zuckerrüben geht auf das Verbot der Saatgut-Beizung mit Neonicotinoid-Wirkstoffen im Jahr 2019 zurück. Diese Wirkstoffe hatten viele Jahre lang bei sehr geringen Aufwandmengen Blattläuse und andere Schädlinge zuverlässig in Schach gehalten. Neonicotinoide waren wegen möglichen nachteiligen Auswirkungen auf Honigbienen ins Gerede gekommen, auch wenn eindeutige Belege für eine Gefahr für Bienenvölker in der Praxis fehlen. Ihr Einsatz wurde in der Schweiz und in der EU zunächst aufgrund des starken politischen Drucks eingeschränkt, und 2018 auch im Freiland verboten. Die Entscheidung kam für die Landwirtschaft überraschend, da Zuckerrüben nicht blühen und daher für Bienen nicht attraktiv sind.

Die viröse Vergilbung: erkrankte Pflanze mit Ertragsverlust (links). Bild: Schweiz. Verband der Zuckerrübenpflanzer SVZ
Aktuell steht damit in der Schweiz nur ein geeigneter Wirkstoff zur Bekämpfung von Blattläusen bei Zuckerrüben zur Verfügung. Obwohl dieser teilweise mehrfach in der Flächenbehandlung eingesetzt wurde, reichte seine Wirksamkeit 2020 nicht aus, um die starke Blattlaus-Vermehrung zu stoppen. Auch ist die Abhängigkeit von nur einem oder wenigen Pflanzenschutz-Wirkstoffen heikel, da dies die Entwicklung von Resistenzen bei Schaderregern fördert.
Auch in der EU traten grosse Probleme mit der virösen Vergilbung bei Zuckerrüben auf. In fast allen Mitgliedsstaaten wurden daher zeitlich befristete Notfallzulassungen für Neonicotinoide für den Schutz von Zuckerrüben-Kulturen erlassen, um die bedrohte Landwirtschaft zu unterstützen. Ein entsprechendes Ansuchen der Branche in der Schweiz beim zuständigen Bundesamt für Landwirtschaft wurde jedoch bisher abgelehnt.
Langfristig könnte eine geänderte Anbaustrategie, z. B. die Verwendung resistenterer Rübensorten, einen Ausweg bieten. Deren Entwicklung und Anpassung an Schweizer Verhältnisse dauert aber mehrere Jahre. Die Ertragsverluste, die bei betroffenen Landwirten aktuell etwa 1000 Fr./ha ausmachen, können aber nicht länger getragen werden. Daher verstärken die Zuckerrüben-Anbauer ihre Aktivitäten.
Politische Forderungen
An einer kürzlichen Medienorientierung mit einer eindrucksvollen praktischen Feldbegehung gaben wichtige Branchenvertreter einen Überblick der Lage, eine Beurteilung der Entwicklungen und wichtige Empfehlungen, um die Zukunft der Schweizer Zuckerproduktion zu sichern. Sie fordern dabei auch eine befristete Zulassung von neonicotinoidhaltigen Beizmitteln, wie diese in vielen EU-Ländern besteht. So könne die Zeit überbrückt werden, um alternative Methoden zur Verhinderung der virösen Vergilbung zu entwickeln. Es sei entscheidend, im Wettbewerb gleich lange Spiesse wie andere Landwirte in Europa zu haben, um die Zukunft der einheimischen Zuckerproduktion sicherzustellen. Nachdruck verleihen diesen Forderungen zwei im September eingereichte parlamentarische Vorstösse von Nationalrat und Landwirt Pierre-André Page, der auch selbst Zuckerrüben anbaut.
Weitere Informationen
- Gleich lange Spiesse für Schweizer Zucker, Medienmitteilung des Schweizerischen Verbandes der Zuckerrübenpflanzer, 17. 09.2020
- Vorträge und Präsentationen an der Medienkonferenz der Zuckerrübenpflanzer zur Virösen Vergilbung bei Zuckerrüben, 17. 09.2020
- Viröse Vergilbung 2020 – das Ende der einheimischen Zuckerrübenproduktion?!, Referat Samuel Jenni, Leiter Fachstelle für Zuckerrübenanbau SFZ, 17.09.2020
-
Rübenpflanzer sind alarmiert, Schweizer Bauer, 17.09.2020
-
Es drohen grosse Ertragsausfälle, Schweizer Bauer, 22.09.2020
- 20.3944 Interpellation Pierre-André Page «Autorisation de réintroduction d’un insecticide de protection de la betterave sucrière», 07.09.2020
- 20.4005 Motion Pierre-André Page «Egalité de traitement pour le sucre suisse», 16.09.2020