Trinkwasserinitiative könnte massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der Schweiz haben
Die Volksinititiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» will Landwirten, die Pestizide einsetzen, die Direktzahlungen streichen. Die meisten Betriebe müssten mit geringeren Einkommen rechnen, ein Teil würde wohl aus dem Direktzahlungs-System aussteigen.
Die im Januar 2018 eingerichtete Trinkwasser-Initiative, über die möglicherweise bereits im Frühjahr 2020 abgestimmt wird, gerät zunehmend in die Kritik. Mit verschiedenen Massnahmen möchte sie die Qualität des Trinkwassers und der Nahrungsmittel sicherstellen. Landwirten, die Pestizide einsetzen, mehr Futtermittel benötigen als sie auf dem eigenen Betrieb produzieren können, oder die prophylaktisch Antibiotika verwenden, sollen keine staatlichen Direktzahlungen mehr erhalten.
Zwar treffen die Anliegen der Initiative vielfach auf Sympathie. Es ist jedoch unklar, ob die vorgeschlagenen Massnahmen zielführend sind – und welche unerwünschten Nebenwirkungen sie mitbringen. Eine aktuelle Untersuchung der Berner Fachhochschule / Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL zeigt, dass eine Annahme der Initiative die Landwirte vor schwierige Entscheidungen stellt und wohl nicht in jedem Fall die erhoffte Wirkung hätte. Ein Teil der Landwirtschaftsbetriebe würde sich wohl von dem bisherigen Direktzahlungssystem mit den klaren ökologischen Auflagen verabschieden. Einkommenseinbussen müssten verbreitet hingenommen werden, unabhängig von der Entscheidung über die weitere Betriebsstrategie.
Ein Forscherteam von der BFH-HAFL hatte im Auftrag des Schweizer Bauernverbandes elf Höfe in der Schweiz mit verschiedenen Betriebsausrichtungen untersucht. Anhand der vorhandenen Betriebsergebnisse der letzten Jahre wurde eingeschätzt, wie sich Erträge und finanzielle Lage der Betriebe ändern würden, wenn sie künftig unter den strengen Auflagen der Trinkwasser-Initiative produzieren müssten, um weiterhin Direktzahlungen zu erhalten. Ohne effizienten Pflanzenschutz würden die Erträge einbrechen, die Tierproduktion müsste oft deutlich eingeschränkt werden, da die selbst produzierten Futtermittel nicht ausreichen. Alternativ könnten die Betriebe ohne neue Auflagen wirtschaften und wären auch nicht mehr an den ökologischen Leistungsnachweis gebunden – müssten dann aber den Verlust der Direktzahlungen kompensieren, die für viele Betriebe eine wichtiger Einkommensbestandteil sind. Zusätzlich zu diesen beiden berechneten Szenarien wurden die Betriebsleiter gefragt, welche Strategie sie bei einer Annahme der Volksinitiative wählen würden.
Fünf der elf untersuchten Betriebe würden sich voraussichtlich den Anforderungen der Trinkwasser-Initiative unterwerfen, auf Pflanzenschutzmittel verzichten und ihre Tierproduktion so anpassen, dass die hofeigenen Futtermittel ausreichen. Vor allem Betriebe mit Ackerbau und Milchvieh sind auf die Direktzahlungen angewiesen. Sechs Betriebe dagegen würden künftig auf die Direktzahlungen verzichten, um ihre Freiheit bei der Wahl der Hofbewirtschaftung zu bewahren. Dazu gehören spezialisierte Betriebe mit Spezialkulturen (Weinbau, Obstbau), bei denen ein Verzicht auf Pflanzenschutzmittel hohe Ertragseinbussen mit sich brächte, und Höfe mit intensiver Tierproduktion, die auf den Zukauf von Futtermitteln angewiesen sind und die Produktion nicht aufgeben wollen. Alle untersuchten Betriebe würden aufgrund reduzierter Erträge oder wegfallender Direktzahlungen deutliche Einkommensverluste erleiden.
Die Landwirte würden versuchen, durch individuelle Betriebsanpassungen die Einbussen zu verringern – das könnte die Aufgabe von Betriebszweigen sein, die Aufnahme eines Zusatzerwerbs, eine Extensivierung des Anbaus oder aber eine intensivere, auf hohe Erträge ausgerichtete Produktion, mit einem stärkeren Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Die Studienautoren weisen darauf hin, dass es aufgrund der kleinen Anzahl untersuchter Betriebe nicht möglich sei, eine Gesamtaussage über die Auswirkungen einer Annahme der Volksinitiative auf die gesamte Schweizer Landwirtschaft zu machen. Diese würde aber zu erheblichen Anpassungen der Wirtschaftsweise führen, und es sei zu erwarten, dass nur ein Teil der Landwirte gemäss den strengen Vorgaben der Initiative zu einem Totalverzicht auf Pflanzenschutzmittel bereit sei. Dies werfe die Frage auf, welche Konsequenzen die Trinkwasser-Initiative für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unter dem Strich habe.
Am gleichen Tag, an dem der Schweizer Bauernverband die Studie der Öffentlichkeit präsentierte, empörte sich die Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft, welche die Trinkwasserinitiative unterstützt, über die angeblichen Falschinformationen von Bundesrat und Hochschule. Sie greift dabei zum Zweihänder: Es bleibe schleierhaft, warum sich eine renommierte Fachhochschule am Gängelband des Bauernverbandes mit einer dermassen fragwürdigen Studie in die Niederungen der Politik ziehen lasse. Haupt-Kritikpunkt ist die Definition der «pestizidfreien Produktion», wie sie die Trinkwasser-Initiative anstrebt. Bundesrat und die Verfasser der BFH-HAFL Studie gehen davon aus, dass damit ein vollständiger Verzicht auf Pflanzenschutzmittel gemeint ist – auch auf solche, die in der Bio-Landwirtschaft eingesetzt werden.
Tatsächlich waren bei der Unterschriftensammlung zur Initiative die Begriffe «Pestizid» und «Pflanzenschutzmittel» gleichbedeutend verwendet worden, immer wieder wurde auf den «schockierenden» Einsatz von über 2000 Tonnen jährlich verwiesen. Dem sollte die Initiative einen Riegel schieben. Erst später wurde den Initiativen bewusst, dass auch in der Bio-Landwirtschaft Pestizide eingesetzt werden können: gemäss der aktuellen PSM-Statistik sind etwa 40% der in der Schweiz eingesetzten Pflanzenschutzmittel Bio-zugelassen. Auch die Pestizid-Definition der Vision Landwirtschaft, auf welche die Initianten verweisen, umfassen Mittel die in der Bio-Landwirtschaft zugelassen sind (z. B. Kupfer) – diese Stoffe wären laut ursprünglicher Argumentation von der Initiative betroffen. Nachträglich soll jetzt der Pestizid-Begriff so umdefiniert werden, dass die Bio-Landwirtschaft gar nicht von der Trinkwasser-Initiative betroffen wäre, um so die Akzeptanz der Initiative zu erhöhen – ein fragwürdiges Vorgehen.
Weitere Informationen:
- Trinkwasserinitiative verfehlt ihr Ziel, Medienmitteilung des Schweizer Bauernverbands, 07. Mai 2019
- Barbara Eiselen u. a. 2019, Auswirkungen der Trinkwasserinitiative auf Landwirtschaftsbetriebe: Betriebswirtschaftliche Analyse von 11 «typischen» Landwirtschaftsbetrieben, Berner Fachhochschule / Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL. Studie zu Handen des Schweizer Bauernverbandes (SBV).
- Trinkwasserinitiative: Falschinformationen von Bundesrat und Hochschule, Vision Landwirtschaft, 07.05.2019