swiss-food.ch Medientalk: Grenzwerte – Sinn und Unsinn
Bei der Diskussion um Pflanzenschutzmittel geht es oft um Grenzwerte. Aber wie werden eigentlich Grenzwerte festgelegt? Wie geht die Gesellschaft damit um? Und wie kann die Einhaltung von Grenzwerten sichergestellt werden? Experten stehen dazu Rede und Antwort im Medientalk von swiss-food.ch.
Die von den forschenden Unternehmen Bayer und Syngenta betriebene Informationsplattform swiss-food.ch möchte einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion rund um die Produktion unserer Nahrungsmittel und um Pflanzenschutzmittel leisten. Dazu werden auch Medientalks veranstaltet, um verschiedene Aspekte vertieft zu diskutieren. Nach einer ersten Veranstaltung im Juni 2020, bei der es um die Rolle von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in einer nachhaltigen Landwirtschaft ging, war am 26. August 2020 «Grenzwerte – Sinn und Unsinn» der Titel. Drei Experten beleuchteten das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln, und stellten sich den Fragen.
Toxikologie und Lebensmittelsicherheit: PSM Toxizität und Grenzwerte
Als Erster erklärte Dr. Rex FitzGerald, regulatorischer Toxikologe beim Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie SCAHT, die wichtigsten Grundlagen in seinem Vortrag (Präsentation). Gesundheitsbezogene Grenzwerte werden aufgrund einer wissenschaftlichen Risikobewertung für die menschliche Gesundheit festgelegt. Aufgrund von umfangreichen Tierversuchen wird dabei eine akzeptable tägliche Aufnahme (ADI) für einen Pflanzenschutz-Wirkstoff bestimmt, die mit hinreichender Sicherheit den Menschen nicht schädigt, auch wenn sie ein Leben lang täglich konsumiert wird. Dieser Wert liegt sicherheitshalber 100-fach unter demjenigen, der bei der empfindlichsten Tierart keine nachteiligen Folgen auslöst. Die gesetzlichen Grenzwerte in Lebensmitteln orientieren sich an dem gesellschaftlichen Anliegen, nur so wenig Pflanzenschutzmittel wie nötig einzusetzen. Durch Anbauversuche wird vor der Zulassung eines Wirkstoffs festgestellt, welcher maximaler Rückstandsgehalt (MRL) bei Einhaltung guter landwirtschaftlicher Praxis in den verschiedenen Kulturen eingehalten werden kann. Dieser dann für die Vermarktung von Produkten verbindliche Grenzwert liegt in der Regel weit unterhalb der gesundheitsbezogenen Grenzwerte, und basiert daher nicht auf einem möglichen Gesundheitsrisiko, sondern der minimalen effektiven Menge für den Pflanzenschutz. Der gesetzliche Grenzwert für PSM-Rückstände in Trinkwasser ist mit 0,1 μg/L (ein Teil in 10 Milliarden) äusserst niedrig angesetzt. Er liegt weit unterhalb der gesundheitsbezogenen Grenzwerte und wurde nicht wissenschaftlich, sondern politisch festgelegt, um möglichst sauberes Trinkwasser sicherzustellen. Regelmässige Kontrollen der Behörden zeigen, dass in Europa die gesetzlichen Grenzwerte weitgehend eingehalten werden. Für die Gesundheit relevante Überschreitungen sind sehr selten, da die Grenzwerte hierfür viel höher liegen. Allerdings wird selbst der gesundheitlich unbedeutende Nachweis von geringen PSM-Rückständen regelmässig von Umwelt-Organisationen angeprangert und verunsichert so die Bevölkerung.
Wahrnehmung und Gefahr von Pestiziden
Jo Riehle Lebensmittelchemiker, Buchautor und Pestizidexperte, wies aufgrund seiner langjährigen Erfahrung im Bereich Lebensmittelanalytik und als Mitglied verschiedener Expertengremien zur Sicherheitsbewertung von Pflanzenschutzmitteln in seiner Präsentation darauf hin, dass zwischen der gesellschaftlichen Wahrnehmung und den tatsächlichen Risiken von Pestiziden ein grosser Unterschied besteht. Oft laufen «Krisen» nach einem vorhersehbaren Muster ab. Untersuchungs-Resultate werden zum Teil lange nach ihrer Veröffentlichung in Fachkreisen von Medien oder Umwelt-Organisationen aufgegriffen und zu einem Problem erklärt, für dass es dringend eine Lösung benötige. So werden Handel und Politik unter Zugzwang gesetzt, entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Um der öffentlichen Erwartung nachzukommen, werden dann oft sachlich nicht unbedingt gerechtfertigte Massnahmen in einem Bereich oder für einen Wirkstoff ergriffen, worauf das Spiel mit dem nächsten «Problem» von vorne beginnt. Strengere Regeln sollen der Verunsicherung in der Bevölkerung begegnen. Allerdings hat die Empfindlichkeit der Analysemethoden in den letzten Jahren enorm zugenommen, so dass immer häufiger winzige Rückstände von immer mehr PSM nachgewiesen werden können – obwohl die tatsächlichen Mengen zurückgehen. Ein neues gesellschaftliches Diskussionsfeld sind daher als bedrohlich wahrgenommene «Pestizid-Cocktails», obwohl tatsächliche Gesundheitsrisken eher von den (sehr seltenen) Überschreitungen gesundheitsbezogener Grenzwerte für Einzel-Wirkstoffe ausgehen. Umwelt-Organisationen geht es bei ihren Kampagnen nicht unbedingt um den Schutz der Konsumenten vor bestimmten Rückständen oder Wirkstoffen, sondern oft darum umfassende umweltpolitische Ziele (z. B. einen höheren Bio-Anteil) durchzusetzen.
PSM und Wasserschutz
Dr. Manfred Röttele, Agronom und Projektleiter des europaweiten TOPPS-Wasserschutzprojektes, zeigte anschliessend auf, welche Massnahmen von der Pflanzenschutz-Industrie ergriffen werden, um den Eintrag von Wirkstoffen in Gewässer zu vermeiden. Damit sollen nachteilige Umweltauswirkungen minimiert werden und zugleich die Einhaltung der strengen Gewässer-Grenzwerte sichergestellt werden. Die gute Aus- und Weiterbildung der Anwender spielt dabei eine zentrale Rolle, da selbst kleine Anwendungsfehler grosse Auswirkungen haben können. So würde der unerwünschte Eintrag von einem Gramm Wirkstoff ausreichen, um in einem 33 km langen Bach mit 30 cm Tiefe und 1 m Breite den Trinkwasser-Grenzwert von 0,1 μg/L zu überschreiten. Das grösste Reduktionspotential besteht bei den Punktquellen auf dem Hof, z. B. durch unbeabsichtigtes Verschütten oder unfachmännische Reinigung der Spritzgeräte. Hier lassen sich mit einfachen Massnahmen, wie der Einrichtung eines Füll- und Waschplatzes, mit vertretbarem Aufwand deutliche Verbesserungen erreichen. Auch die diffusen Quellen, wie die Abschwemmung von Wirkstoffen von Feldern durch Niederschläge, können durch geeignete Anbaumassnahmen deutlich verringert werden. Schliesslich besteht auch bei der Abdrift, der Verfrachtung von Wirkstoffen bei der Ausbringung durch den Wind, Verbesserungspotential. Hier können die Anwendung bei geeigneten Witterungsbedingungen (z. B. wenig Wind) und technisch optimales Spritzgerät mit Abdrift-reduzierenden Düsen Abhilfe schaffen – Pflanzenschützer.ch stellt dazu in Zusammenarbeit mit TOPPS eine Broschüre für die Landwirte in der Schweiz bereit. Zentraler Ansatzpunkt zur Vermeidung von Wirkstoff-Einträgen in Gewässern ist das Bewusstsein des Problems und der verfügbaren Lösungen – Wasserschutz beginnt in den Köpfen. Punktquellen lassen sich durch gute Praxis weitgehend vermeiden, diffuse Quellen vom Feld deutlich reduzieren. Das Zusammenspiel der Massnahmen und die Weiterbildung tausender von Landwirten in ganz Europa im Rahmen des TOPPS-Projektes hat in den letzten Jahren zu einem Rückgang der Belastungen geführt.
Fazit
Zum Schluss des Medientalks fassen die anerkannten Experten ihre Erfahrung zusammen. Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich gesicherten Fakten und der öffentlichen Wahrnehmung zu den Risiken von Pestiziden erschwert die öffentliche Diskussion. Angesichts der immer empfindlicheren Analysemethoden ist die Tatsache, dass viele Laien den alleinigen Nachweis eines Rückstands – völlig unabhängig von dessen Menge – als Gefahr empfinden, eine grosse Herausforderung für die Kommunikation. Die Wissenschaft steht daher in der Verantwortung, Sorgen und Ängste der Konsumenten ernst zu nehmen, und den Austausch aufrecht zu erhalten, um auch fachliche Argumente in die Diskussion einzubringen. Das ist auch ein zentrales Anliegen von swiss-food.ch.