Agroscope-Studie 2020 zeigt: Es drohen steigende globale Umweltbelastungen bei Annahme der Trinkwasser-Initiative
Die Trinkwasser-Initiative strebt saubereres Wasser und einen besseren Zustand der Umwelt in der Schweiz an. Eine neue Studie von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, zeigt nun, dass die Annahme dieser Initiative nicht nur die Produktion der einheimischen Landwirtschaft schwächt, sondern auch die globalen Umweltauswirkungen des Schweizer Konsums verschlechtert. Sie ist damit ökologisch fragwürdig und unsolidarisch gegenüber der restlichen Weltbevölkerung.
Die Trinkwasser-Initiative, welche im Jahr 2021 zur Abstimmung kommen wird, will Direktzahlungen nur noch für Landwirte erlauben, die pestizidfrei produzieren und ihre Tiere ausschliesslich mit selbst produzierten Futtermitteln ernähren. Eine Annahme würde zu massiven Veränderungen der Strukturen der Schweizer Landwirtschaft führen, da Direktzahlungen einen wesentlichen Bestandteil des landwirtschaftlichen Einkommens darstellen. Viele Bauern sind schlichtweg auf diese Einkünfte angewiesen, sie müssten ihre Produktion daher anpassen und verbreitet einschränken. Manche Betriebe würden gar wohl auf Direktzahlungen verzichten, um die Produktionsfreiheit beibehalten zu können. Sie könnten dann ohne die Einschränkungen der Volksinitiative weiter wirtschaften, und ihre Produktion sogar intensivieren.
Um die grossen wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen einer Annahme der Trinkwasser-Initiative abzuschätzen, hat die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope verschiedene Szenerien modelliert. Im Sommer 2019 hatte Agroscope bereits die Studie zu den ökonomischen Auswirkungen präsentiert. In dieser wird deutlich: Ohne die Bereitschaft der KonsumentInnen, doppelt so hohe Preise für pestizidfrei hergestellte Landwirtschaftsprodukte zu bezahlen, würden die Einkommen der Landwirte sinken. Die Ertragsverluste ohne Pflanzenschutzmittel könnten bei Getreide und Zuckerrüben bei 40% und mehr liegen, um 50% bei Gemüse, bei 60% und mehr für Obst und Kartoffeln, und bis zu 80% bei Beeren und Wein. Das würde zu Anpassungen bei der Auswahl der Kulturen durch die Landwirte führen. Je nach Szenario würde die Kalorien-Produktion im Inland um 12-21% zurückgehen. Der ohnehin schon geringe Brutto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz, der importierte Futtermittel einschliesst, würde von 54% nach Annahme der Trinkwasser-Initiative weiter um 11-20% sinken. Um die Versorgung der Schweiz weiterhin sicherzustellen, wären deutlich höhere Lebensmittelimporte aus dem Ausland erforderlich, was nicht ökologisch ist.
Trinkwasser-Initiative: weitere Verlagerung des ökologischen Fussabdrucks der Schweiz in das Ausland
Die Frage stellt sich: Wie stehen diese grossen und zum Teil problematischen wirtschaftlichen Auswirkungen der Trinkwasser-Initiative den erhofften positiven Veränderungen für die Umwelt gegenüber? In dem im Sommer 2020 präsentierten zweiten Teil der Studie haben die Forschenden von Agroscope dies anhand aufwändig berechneter Ökobilanzen für die wichtigsten in der Schweiz konsumierten Agrar-Rohstoffe berechnet. Dabei untersuchten sie den Eintrag von Schadstoffen und Schadwirkungen in Gewässern, mögliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt, nachteilige Einflüsse auf das Klima (z. B. durch Treibhausgas-Ausstoss), sowie den Energie- und Ressourcenbedarf. Dabei wurde sowohl die landwirtschaftliche Produktion als auch deren Vorketten, wie z. B. die Herstellung von Düngern, Pestiziden oder Maschinen, die Änderungen von Landnutzung und Produktionspraxis in der Schweiz sowie die Auswirkung von Veränderungen beim Im- und Export berücksichtigt. Berechnet wurden insgesamt 18 verschiedene Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen zu Preisveränderungen, Ertragsverlusten und der Umlagerung von Finanzmitteln, um die ganze Bandbreite möglicher Entwicklungen abzudecken.
Wenn ausschliesslich die Situation in der Schweiz betrachtet wird, ist bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative tatsächlich mit einer mehr oder weniger deutlichen Verbesserungen in den meisten der untersuchten Bereiche zu rechnen. Die grössten Auswirkungen, z. B. auf den Schadstoffeintrag in Gewässer und auf das Klima, hätte die zu erwartende deutliche Reduktion des Tierbestandes in der Schweiz. Der Verzicht auf Pestizide wirkt sich nur auf einen Teil der Umweltwirkungen klar aus.
Bei einer ganzheitlichen Sichtweise kehrt der günstige erste Eindruck jedoch ins Gegenteil um: durch die reduzierte Inland-Produktion müssen viel mehr Agrargüter aus dem Ausland in die Schweiz importiert werden. Diese hinterlassen bei ihrer Produktion nicht nur einen deutlichen schlechten Umwelt-Fussabdruck im Ausland, sondern müssen auch noch mit grossem Energieaufwand mit Strassen-, Schiff- oder Lufttransporten in die Schweiz befördert werden. Zählt man die Umweltauswirkungen nach Annahme der Trinkwasser-Initiative im In- und Ausland zusammen, ergibt sich für alle untersuchten Faktoren bis auf die Süsswasser-Ökotoxizität eine teilweise deutliche Verschlechterung gegenüber der heutigen Situation. Besonders betrifft dies den Faktor der weltweiten Wasser-Knappheit, der zwar in der Schweiz nur selten ein Problem ist, wohl aber in vielen Produktionsländern im Ausland (z. B. Kartoffeln aus Ägypten).
Änderung der globalen Umweltauswirkungen bei Annahme der Trinkwasser-Initiative (Quelle: Agroscope 2020; PDF mit Detail-Daten)
Wächst die Nachfrage aus der Schweiz, müssen dafür auch die entsprechenden Produktionskapazitäten im Ausland zur Verfügung gestellt werden. Dies kann durch eine Intensivierung der dortigen Produktion mit den entsprechenden Umweltauswirkungen oder durch die direkte oder indirekte Erschliessung neuer Produktionsflächen geschehen. Je nach Szenario würde die Annahme der Trinkwasser-Initiative die zur Versorgung der Schweiz erforderliche Gesamtfläche um 17.2% – 22.9% steigern, wobei der Flächenzuwachs praktisch ausschliesslich im Ausland erfolgen würde. Dies würde die globale Zersiedelung der Landschaft weiter anheizen.
Dadurch droht auch ein Biodiversitätsverlust oder die Abholzung von bisher naturbelassenen Flächen. Das Artenverlust-Potenzial der Nahrungsmittelproduktion für die Schweiz würde durch die Trinkwasser-Initiative um 21.5% – 30.7% steigen. Auch die Versauerung und Überdüngung der Gewässer, die Treibhausgasproduktion und andere nachteilige Auswirkungen auf die Atmosphäre würden klar zunehmen. Der Bedarf an nicht erneuerbaren Energieressourcen würde um 8.8% – 13.0% steigen. Auch hier stammt der Hauptteil der Umweltauswirkungen von der Produktion tierischer Lebensmittel. Der Import pflanzlicher Nahrungsmittel fällt weniger ins Gewicht.
Eine Verbesserung der Wasserqualität in der Schweiz müsste also mit teilweise deutlichen Umweltbelastungen in den Herkunftsländern der Importe erkauft werden. Unter dem Strich würde die Trinkwasser-Initiative global gesehen zu einer zunehmenden Belastung der Umwelt führen, was mit einer in der Schweiz gelebten internationalen Solidarität kaum vereinbar wäre. Zudem wirken sich mehrere der untersuchten Umweltfaktoren (z. B. Treibhausgasausstoss) grenzüberschreitend und damit auch auf die Schweiz aus. Diese weitreichenden Folgen sollten bei der persönlichen Abwägung an der Urne zur Trinkwasser-Initiative mitberücksichtigt werden.
Weitere Informationen
- Agroscope publiziert Studie zu Umweltfolgen der Trinkwasserinitiative, Agroscope Medienmitteilung, 03.07.2020
- Maria Bystricky, Thomas Nemecek, Simone Krause und Gérard Gaillard 2020, Potenzielle Umweltfolgen einer Umsetzung der Trinkwasserinitiative», Agroscope Science Nr. 99 / Juli 2020 (PDF, 9 MB)
- Diagramm zu den Umweltwirkungen «Warenkorb gesamt» (PDF, 90 kB), Agroscope (Juli 2020)
- Fragen und Antworten zu der Studie (PDF, 394 k), Agroscope (Juli 2020)
- Stellungnahme zur Agroscope-Studie «Folgenabschätzung Trinkwasserinitiative: Ökonomische und agrarstrukturelle Wirkungen», Industriegruppe Agrar (9.07.2020)