Pestizide im Haar? Experten kritisieren K-Tipp Studie

Im Mai 2019 sorgte eine Studie des K-Tipp für Angst und Verunsicherung: das Magazin fand bei allen 20 Testpersonen Rückstände von Pestiziden und anderen Schadstoffen in den Haaren. Experten stufen die Resultate allerdings als wissenschaftlich wertlos ein. Sie ermöglichen keine seriöse Beurteilung des tatsächlichen Risikos.
Ein französisches Speziallabor hatte im Auftrag des K-Tipp Haarproben von 20 Testpersonen aus der Deutsch- und Westschweiz untersucht. Bei allen Personen wurden «beunruhigende» Rückstände nachgewiesen – im Durchschnitt etwa 10 bis 20 verschiedene Substanzen. Darunter befinden sich Pestizide, Chemikalien, Medikamente und Schwermetalle, welche laut K-Tipp «Experten bei chronischer Belastung als gesundheitliches Risiko einstufen». Ausdrücklich aufgeführt werden krebserzeugende, erbgut- und nervenschädigende sowie den Hormonhaushalt störende Wirkungen. Nur: die vom K-Tipp präsentierten Analysen machen keinerlei Angaben über die angeblich gefundenen Mengen der Substanzen. Ohne diese Information ist es unmöglich, eine Gefährdung abzuschätzen, da mit den heutigen Analysemethoden selbst Rückstände in winzigen Spuren nachgewiesen werden können, die weit unterhalb einer möglichen Gefährdungsschwelle liegen.
Das Schweizerische Zentrum für angewandte Humantoxikologie SCAHT, eine staatlich finanzierte Stiftung mit Forschungs- und Beratungsaufgaben, hat sich jetzt zu der K-Tipp Studie geäussert, und lässt kein gutes Haar an ihr. Der erfahrende Toxikologe Dr. Lothar Aicher kritisiert in seiner Stellungnahme, dass der Artikel eine seriöse und differenzierte Einschätzung vermeidet und so zu einer Verzerrung der öffentlichen Wahrnehmung beiträgt. Damit reihe er sich in eine Serie von Berichten ein, die über den Nachweis von Chemikalien in unserer Umwelt, dem Trinkwasser oder unserem Körper berichten, ohne zugleich eine realistische Einschätzung der damit verbundenen Gesundheitsrisiken zu bieten. Oft werde in der öffentlichen Debatte auf die Möglichkeit von Gesundheitsschäden verwiesen (die Gefahr), aber es werden keine Angaben dazu gemacht, wie wahrscheinlich solche Schäden tatsächlich sind (das Risiko). Ohne Angaben zu den Schadstoffmengen in den Haaren sei es unmöglich abzuschätzen, ob die Substanzen überhaupt ein Gesundheitsrisiko darstellen können.
Auch so lässt die Studie viele Fragen offen: die meisten der in dem K-Tipp Bericht beschriebenen Pflanzenschutzmittel und Pestizide sind in der Schweiz und zum Teil auch in der EU und den USA nicht mehr zugelassen, zum Teil seit Jahrzehnten. Es bleibt unklar, wie sie in die Haare der Versuchspersonen gelangen konnten, und ob dies über die Aufnahme mit der Nahrung oder auch durch die Luft erfolgt sein könnte. So ergibt der Artikel den Konsumenten kaum Orientierungsmöglichkeiten, wie sie die behauptete Schadstoffbelastung reduzieren oder vermeiden könnten.
Der SCAHT Experte empört sich besonders über ein aktuelles «Sonderangebot» von K-Tipp und Saldo, bei dem Leserinnen und Leser zum Spezialpreis von SFr. 288 statt SFr. 360 eine umfassende Haaranalyse bei dem französischen Speziallabor in Auftrag geben können. Dabei soll auf 1800 organische Schadstoffe und Pestizide sowie auf 46 Metalle untersucht werden. Fachleute sind nicht davon überzeugt, dass das Labor mit seinen nicht dokumentierten und unabhängig geprüften Methoden tatsächlich eine so grosse Zahl von Substanzen analysieren kann. Unabhängig davon solle der Leser viel Geld für eine zweifelhafte Untersuchung bezahlen, die zwar eine Menge Daten generiere, aber keine relevanten Informationen für eine seriöse Beurteilung des tatsächlichen Risikos biete. So bleibe der Konsument ratlos zurück. Die Behauptung, dass sich die Personen nach der Analyse ein eigenes Bild von ihrem Gesundheitsrisiko machen könnten, sei höchst unseriös.
Weitere Informationen
- Haaranalyse: Diese Schadstoffe finden sich im Körper, K-Tipp 09/2019 vom 7. Mai 2019 von Andreas Schildknecht, Redaktion K-Tipp/saldo
- Haaranalyse: Viele Schadstoffe im Körper, saldo 09/2019 vom 14. Mai 2019 (Sonderangebot SFr. 288 statt SFr. 360 für Haaranalyse)
- SCAHT Experten-Kommentar: K-Tipp Artikel über Haaranalysen für Schadstoffnachweis, Schweizerisches Zentrum für angewandte Humantoxikologie, 21.05.2019