Innovation: Spiropidion als neuer, nützlingsschonender Wirkstoff gegen saugende Schädlinge

Blattläuse, Weisse Fliegen, Schildläuse und Milben stechen mit ihren Saugrüsseln Pflanzen an, um an deren Saft zu gelangen. Damit verursachen sie grosse Schäden in der Landwirtschaft. Die Bekämpfung dieser Schädlinge ist schwierig. Nach langjährigen Entwicklungsarbeiten ist es Forschern jetzt gelungen, einen neuen Nützlings- und Bestäuber-schonenden Wirkstoff für ihre Kontrolle zu entwickeln.
Saugende Schädlinge verursachen deutliche Ertragsminderungen bei Ackerkulturen. Bei Obst und Gemüse wird auch die Qualität des Ernteguts durch den Einstich nachhaltig beeinträchtigt. Oft übertragen die Saugrüssel auch noch Pflanzenkrankheiten, die z. B. durch Viren ausgelöst werden. Da sich die kleinen Schadorganismen sehr schnell vermehren können und hauptsächlich auf der geschützten Unterseite der Blätter sitzen, wo sie mit herkömmlichen Insektizidbehandlungen kaum zu erreichen sind, verursachen saugende Schädlinge ernste Probleme für die Landwirte. Die Entwicklung wirksamer Massnahmen und neuer Wirkstoffe für den Pflanzenschutz ist daher sehr wichtig. Sie stellt aber eine grosse Herausforderung dar, und benötigt viel Fachwissen, Zeit, und Ressourcen.
Bereits in den 1940er Jahren wurde eine Gruppe synthetischer chemischer Substanzen, die Prodine, als Schmerzmittel erforscht. Diese lehnen sich in ihrer Struktur an einen in der Natur weit verbreiteten Baustein mit verschiedenen biologischen Funktionen an. Im Zug dieser Arbeiten gelang 1961 die Synthese eines Moleküls mit dem komplizierten Namen N-methoxy piperidin-4-on, das als Grundstoff für weitere Entwicklungen dienen sollte. Die Substanz wurde damals aber kaum weiterverfolgt, und geriet weitgehend in Vergessenheit.
Im Jahr 2005 begannen Forscher von Syngenta, die Eignung des Moleküls für den Pflanzenschutz zu untersuchen. Durch Kombination mit einem weiteren chemischen Baustein mit bekannter Wirksamkeit gegen Insekten und Milben erzeugten sie einen neuartigen Wirkstoff, der in Feldversuchen vielversprechende Eigenschaften aufwies. Aber damit begann erst die Arbeit: durch weitere chemische Veränderungen wurde die Wirksamkeit in zahlreichen Optimierungs-Zyklen verbessert. Dabei gab es auch viele Rückschläge: manche Derivate mit stärkerer Wirkung gegen Blattläuse hatten kaum noch Aktivität gegen Milben, andere Substanzen mit sehr guter Milbenwirkung waren schlechtere Blattlaus-Insektizide, einige eigentlich vielversprechende Präparate zeigten unerwünschte Wirkungen auf das Pflanzenwachstum.
Nach vielen Verbesserungs-Zyklen konnte schliesslich der neue Wirkstoff mit dem Namen «Spiropidion» identifiziert werden. Er weist ein breites Wirkungsspektrum gegen verschiedene saugende Schädlinge auf, ist aber wenig schädlich für Nicht-Ziel-Organismen. Er wird im Boden und Gewässern rasch abgebaut, und hat ein günstiges Umwelt-Profil.
Spiropidion wirkt spezifisch, in dem es den Fettsäure-Stoffwechsel von saugenden Schädlingen und damit ihre Weiterentwicklung blockiert. Durch diesen speziellen Wirkmechanismus unterscheidet es sich von den meisten anderen verfügbaren Pflanzenschutzmitteln. Eine Vielfalt von unterschiedlichen Mechanismen ist entscheidend dabei, die Entwicklung von resistenten Schädlingen zu verhindern, damit stellt Spiropidion eine willkommene Ergänzung des Werkzeugkastens für den Pflanzenschutz dar.
Die Substanz muss nach der Behandlung erst über die Blattoberfläche oder die Wurzeln in die Pflanze aufgenommen und dort durch eine biochemische Veränderung aktiviert werden. Sie reichert sich dabei speziell in den Leitbündeln der Pflanzen an, die für den Wasser- und Stofftransport verantwortlich sind, und kann so im Pflanzensaft ihre Wirksamkeit gegen saugende Schädlinge zu entfalten und die Pflanze von innen heraus schützen. In den übrigen Pflanzengeweben findet diese Anreicherung nicht statt. So werden Nützlinge und Bestäuber, die in Kontakt mit behandelten Pflanzen kommen, geschont. Auch mit dem Einsatz von Nutzinsekten, z. B. im intergierten Pflanzenbau in Gewächshäusern, ist Spiropidion daher kompatibel.
Durch die Aufnahme und Verteilung des Wirkstoffs in alle Richtungen in der ganzen behandelten Pflanze werden auch Schädlinge gut erreicht, die an den Blatt-Unterseiten oder an schwer zugänglichen Stellen sitzen, oder wie Schildläuse vor dem direkten Kontakt mit einem von aussen aufgebrachten Wirkstoff geschützt sind. Das garantiert einen besonders guten Pflanzenschutz. Auch erst nach der Behandlung neu gewachsene Blätter und Sprosse sind durch die systemische Wirkung und den Transport in beide Richtungen geschützt.
Die weltweit erste Zulassung eines Produkts mit dem neuen Wirkstoff erfolgte im September 2020 in Guatemala, dort sollen die Präparate in den nächsten Monaten in den Handel gelangen. In den nächsten sechs Jahren strebt Syngenta die Vermarktung in mehr als 60 Ländern weltweit an, für die EU soll der Zulassungsantrag 2022 oder 2023 eingereicht werden.
Die lange Zeit vom Beginn der gezielten Forschungsarbeiten für Spiropidion im Jahr 2005 bis zur Markteinführung 2020 zeigt, wie zeitaufwändig und teuer die Entwicklung neuer Pflanzenschutz-Wirkstoffe ist. im Durchschnitt dauert es länger als 10 Jahre, und die Kosten liegen über 280 Mio. US$, auch weil die für eine Zulassung erforderlichen Anforderungen immer strenger werden. Ganz entscheidend für die Entwicklung innovativer Lösungen sind talentierte und motivierte Forscherinnen und Forscher. Anke Buchholz, die als Wissenschaftlerin bei Syngenta entscheidend an der Entwicklung von Spiropidion beteiligt war, wurde vom Verband CropLife als «Female #FoodHero» ausgezeichnet.
Weitere Informationen
- Syngenta kündigt bienenfreundliches Insektizid an, Bauernzeitung.ch, 24.11.2020
- Michel Muehlebach, Anke Buchholz et al. 2020, Spiro N‐methoxy piperidine ring containing aryldiones for the control of sucking insects and mites: discovery of spiropidion, Pest Manag. Sci. (online Januar 2020, https://doi.org/10.1002/ps.5743)
- Anke Buchholz, Female #FoodHero, CropLife International