Die Kehrseite der grünen Medaille: Ertragseinbussen, höhere Preise, mehr Importe

Der Green Deal der EU strebt Klimaneutralität und mehr Nachhaltigkeit an. Verschiedene geplante Massnahmen betreffen auch die Landwirtschaft und den Pflanzenschutz. Ohne Innovationen in der Landwirtschaft könnten die Erträge in Europa deutlich sinken.
Gesunde Menschen, gesunde Gesellschaft, gesunder Planet: das sind die Kernziele des Green Deals, der im Jahr 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde. Dabei ist die Entwicklung nachhaltiger Lebensmittelsysteme ein zentraler Pfeiler. Die Strategie «Vom Hof auf den Tisch» (Farm2Fork) sieht dafür bis 2030 unter anderem eine Reduktion der eingesetzten Pflanzenschutzmittel um 50% vor, und die Verminderung des Düngereinsatzes um 20%. Die Biodiversitäts-Strategie möchte die Artenvielfalt dadurch fördern, dass 10% der landwirtschaftlichen Fläche in naturnahe, artenreiche Ausgleichsflächen umgewandelt werden.
Welche Auswirkungen hätten diese tiefgreifenden Änderungen auf die landwirtschaftliche Produktion in der EU? Ein Forscherteam von der Universität Wageningen ist dieser Frage detailliert nachgegangen. Anhand von 25 Fallstudien für 10 Nutzpflanzen in sieben Ländern analysierten die Auswirkungen der vorgeschlagenen Massnahmen auf die Erträge und die Qualität der Ernten. Dabei reichten die untersuchten Betriebe von riesigen Raps-Anbauern in Polen (1’400 ha) über grosse Weizenfarmen (deutlich mehr als 100 ha) in Rumänien, Deutschland und Frankreich bis hin zu kleinen Apfel-Betrieben in Italien (3.5 ha) und winzigen Zitrusbetrieben (1 ha) in Spanien. Damit sollen die grosse Bandbreite von Anbaubedingungen in verschiedenen Ländern, und die unterschiedlichen Betriebsstrukturen in der EU abgebildet werden.
Weniger Ertrag, weniger Qualität
Jede der vorgeschlagenen Massnahmen wirkt sich auf die Produktion aus. In dem kombinierten Szenario, mit reduziertem Pflanzenschutzmittel- und Düngereinsatz und 10% Biodiversitäts-Ausgleichsfläche, werden für Dauerkulturen Ertragseinbussen von 21% bei Hopfen bis zu 30% bei Oliven und Äpfeln erwartet. Bei jährlichen Kulturen reicht der Minderertrag von 14% bei Raps bis hin zu 23% bei Tomaten.
Ein reduzierter Pflanzenschutz würde sich auch auf die Qualität des Ernteguts auswirken. So könnte ein verminderter Fungizideinsatz bei Getreide den Gehalt an Mykotoxinen steigern, bis hin zum Verlust der Verkehrsfähigkeit als Lebens- oder Futtermittel. Auch bei Äpfeln würde die für Konsumenten wichtige Qualität durch kleinere, optisch nicht einwandfreie Früchte leiden.
Höhere Preise
Neben diesen direkten Auswirkungen auf Ebene der Einzelbetriebe untersuchten die Forscher wirtschaftliche Veränderungen auf Ebene der gesamten EU, indem sie die Resultate auf den gesamten Markt extrapolierten. Für sich genommen führt eine verminderte Qualität des Ernteguts zu niedrigeren Preisen für die Landwirte. Andererseits bewirkt ein Ertragsrückgang eine Verknappung des Angebots, was die Preise steigen lässt. Unter dem Strich erwarten die Wissenschaftler für Wein, Oliven, und Hopfen Preissteigerungen zwischen 25% und 40%. Auch für Weizen, Zuckerrüben, Raps und Mais würden die Preise steigen, allerdings nur moderat (weniger als 7%). Der Gesamtwert der Produktion in der EU würde durch die Massnahmen des Green Deals um fast 12 Milliarden EUR jährlich zurückgehen.
Verlagerung von Problemen in das Ausland
Geminderte Erträge wirken sich auch auf den Aussenhandel aus, da die fehlenden Mengen ausgeglichen werden müssen. Die erforderlichen Importe in die EU würden für Mais (+207%), Raps (+98%) und Zitrusfrüchte (+92%) deutlich steigen. Dagegen würden die Exporte von Wein (-80%), Weizen (-68%) und Oliven (-69%) drastisch zurückgehen. Sowohl gesteigerte Importe als auch reduzierte Exporte bedingen, dass diese in Ländern ausserhalb der EU durch zusätzliche Anbauflächen ausgeglichen werden. Die Experten schätzen die indirekte Veränderung der globalen Landnutzung (ILUC) ausserhalb der EU aufgrund der Green-Deal-Massnahmen auf einen Mehrbedarf von über 6 Millionen Hektaren. Diese würden dann für die lokale Produktion nicht mehr zur Verfügung stehen, was sich nachteilig auf die globale Nahrungsversorgung auswirken würde.
Die Autoren von der Universität Wageningen betonen, dass sie in ihrer Studie mögliche positive Auswirkungen der vorgeschlagenen Green Deal-Massnahmen auf die Biodiversität und auf das Klima nicht berücksichtigt haben. Hier besteht ein klarer Zielkonflikt, und es ist auch nicht klar in welchem Mass die erhofften Vorteile innerhalb Europas durch nachteilige globale Auswirkungen geschmälert werden. Umweltauswirkungen der Landwirtschaft, wie Biodiversitätsverluste und Treibhausgas-Emissionen, werden in das Ausland verlagert, aber nicht unbedingt reduziert.
Erforderliche Innovationen
Auch wenn die übergeordneten Ziele des EU Green Deals breit unterstützt werden, ist klar, dass die grossen, teilweise nachteiligen Auswirkungen der vorgeschlagenen Massnahmen gründlich gegen die erhofften Vorteile abgewogen werden müssen. Allenfalls sind Anpassungen erforderlich, um schädliche Wirkungen zu vermeiden oder zu kompensieren.
Als Gegenmassnahmen für die zu erwartenden Ertragseinbussen aufgrund der Green Deal Massnahmen empfehlen die Autoren der Studie Innovationen in der Pflanzenproduktion, wie biologische Kontrolle von Schädlingen, bessere Züchtung, Präzisionslandwirtschaft und Biostimulanzien, um die Widerstandsfähigkeit der Sorten gegen Schädlinge und Krankheiten zu verbessern. Dabei könnte die Aufhebung gesetzlicher Schranken für neue Züchtungstechnologien eine entscheidende Rolle spielen, um den Züchtungszyklus zu beschleunigen.
Die hier beschriebenen, ohne Gegensteuer aufgrund der Green Deal Massnahmen und des reduzierten Pflanzenschutzes zu erwartenden Ertragseinbussen wurden auch in mehreren anderen Studien beschrieben. So kommen Untersuchungen der Universität Kiel, des gemeinsamen Forschungszentrums der EU (JRC) und des US Landwirtschaftsministeriums zu sehr ähnlichen Prognosen.
Weitere Informationen
- Green Deal probably leads to lower agricultural yields, Wageningen University & Research News, 19.01.2021
- Johan Bremmer et al. 2021, Impact assessment of EC 2030 Green Deal Targets for sustainable crop production, Wageningen Economic Research Report 2021-150
- Christian Henning et al. 2021, Ökonomische und ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft, Christian-Albrechts-Universität Kiel / EuroCARE
- Jesus Barreiro Hurle et al. 2021, Modelling environmental and climate ambition in the agricultural sector with the CAPRI model, Joint Research Centre Technical Report JRC121368.
- Jayson Beckman et al. 2020, Economic and Food Security Impacts of Agricultural Input Reduction Under the European Union Green Deal’s Farm to Fork and Biodiversity Strategies, USDA-ERS Economic Brief No. (EB-30)