Agroscope-Studie: Trinkwasser-Initiative würde Nahrungsproduktion im Inland weiter einschränken
Schon heute produziert die Schweiz aus eigener Kraft weniger als die Hälfte der hier konsumierten Lebensmittel. Die drastischen Auswirkungen der Trinkwasser-Volksinitiative würden die einheimische Produktivität weiter reduzieren, und so immer mehr Importe aus dem Ausland erfordern.
Die Trinkwasser-Initiative will Bauern, die Pestizide einsetzen und keine strengen Auflagen bei der Futtermittelproduktion und beim Antibiotikaeinsatz für die Nutztiere einhalten, die Direktzahlungen streichen. Das hätte massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Nicht alle Betriebe wären wohl in der Lage, die strengen Auflagen zu erfüllen. Ein Teil würde aus dem Direktzahlungssystem aussteigen und könnte dann mit geringeren ökologischen Auflagen wirtschaften. Das hatte bereits im Mai eine Studie der Berner BFH-HAFL anhand der Analyse ausgewählter Einzelbetriebe gezeigt. Jetzt legt die staatliche Forschungsanstalt Agroscope mit einer Studie zu den Auswirkungen der Trinkwasser-Initiative für die ganze Schweizer Landwirtschaft für das Jahr 2025 nach.
Derartige Berechnungen gehen immer von verschiedenen Annahmen aus, z. B. zu den zu erwartenden Ertragseinbussen, der Preisentwicklung für landwirtschaftliche Produkte, und einer möglichen Umlagerung der Direktzahlungen. Da die zukünftige Entwicklung nicht mit Sicherheit abgesehen werden kann, arbeitet die Agroscope-Studie mit insgesamt 18 verschiedenen Szenarien, um so möglichst viele der zu erwartenden Entwicklungen abzudecken.
Je nach Annahmen wäre es bei einer Annahme der Initiative für 33−63 % der Veredelungsbetriebe (Schweine- und Geflügelzucht) und für 51−93 % der Spezialkulturbetriebe (Obst, Gemüse, Beeren) wirtschaftlich interessanter, aus dem Direktzahlungssystem auszusteigen und künftig ohne die Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises intensiv zu produzieren. Sofern die Konsumentinnen und Konsumenten bereit wären, für pestizidfrei produzierte Landwirtschafts-Produkte künftig einen doppelt so hohen Preis zu bezahlen, würde sich eine Annahme der Trinkwasser-Initiative auch für die Betriebe lohnen die auf Pflanzenschutzmittel verzichten. Bei geringerer Zahlungsbereitschaft, oder wenn verstärkt preisgünstigere Waren aus dem Ausland konsumiert werden, müssten diese Betriebe jedoch mit Einbussen rechnen.
Nach den verschiedenen Szenarien könnten künftig 70−92% der offenen Ackerfläche in der Schweiz pestizidfrei bewirtschaftet werden. Allerdings wäre bei Verzicht auf Pflanzenschutzmittel mit zum Teil erheblichen Ertragseinbussen zu rechnen: diese könnten bei Getreide und Zuckerrüben bei 40% und mehr liegen, um 50% bei Gemüse, bei 60% und mehr für Obst und Kartoffeln, und bis zu 80% bei Beeren und Wein erreichen. Daher ist es wahrscheinlich, dass ein Grossteil der Obst-, Kartoffel-, Beeren-, Reben- und Gemüseflächen auch weiterhin unter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet würden.
Die veränderten Rahmenbedingungen würden zu Verschiebungen der Flächennutzung führen. Zusammen mit den Ertragsrückgängen ohne Pestizide würde die Schweizer Zucker- und Ölsaatenproduktion selbst unter günstigen Annahmen um 44 % bzw. 22 % sinken – zu wenig, um die bestehenden Verarbeitungsbetriebe auszulasten.
Auch die Gesamt-Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz wäre massiv betroffen: je nach Szenario würde die Kalorien-Produktion im Inland um 12-21% zurückgehen. Damit würde der Brutto-Selbstversorgungsgrad (der importierte Futtermittel umfasst) von 54% nach Annahme der Trinkwasser-Initiative um 11-20% sinken. Das würde eine starke Zunahme der Abhängigkeit von der ausländischen Produktion bedeuten, und wesentlich mehr Nahrungsmittel-Importe als heute. Ob eine weitere Verlagerung der Nahrungsmittel-Produktion ins Ausland ökologisch sinnvoll ist, wäre fraglich. Der abtretende Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, Bernhard Lehmann, weist darauf hin, dass sich viele Länder der Welt derartige Initiativen gar nicht leisten könnten. Global betrachtet seien sie vollkommen unethisch.
Ein besonders interessanter Teil der Studie ist die darin enthaltene Bewertung der Resultate durch verschiedene Anspruchsgruppen. Der Schweizer Bauernverband zeigt sich besorgt von der massiv sinkenden Selbstversorgung und sieht die Ernährungssicherheit der Schweiz in Frage gestellt. Auch der Schwund der Biodiversitäts-Förderflächen, sinkende Produktequalität und Lebensmittelsicherheit, ein massiver Anbau-Rückgang bei Zuckerrüben, Ölsaaten, Kartoffeln, Reben, Obst, Beeren und Gemüse sowie sinkende landwirtschaftliche Einkommen bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative werden kritisiert. Aus Sicht des SBV verfehlt die Trinkwasser-Initiative ihr Ziel klar und ist kontraproduktiv.
Sowohl Pro Natura als auch die Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft, die beide den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln massiv reduzieren wollen, bemängeln die aus ihrer Sicht unrealistischen Annahmen der Agroscope-Studie. So sind nach ihrer Interpretation nicht alle Pestizide von der Initiative betroffen. Die für die biologische Landwirtschaft zugelassenen Produkte dürften ihrer Ansicht nach auch weiterhin eingesetzt werden. Daher seien keine so grossen negativen Auswirkungen zu erwarten wie in der Studie beschrieben. Allerdings hatten sich die Initianten der Trinkwasser-Initiative bei der Unterschriftensammlung klar gegen alle Pestizide ausgesprochen, und dabei auch ausdrücklich in der Bio-Landwirtschaft eingesetzte chemische Substanzen (z. B. Pestizide, die das Schwermetall Kupfer enthalten) als problematisch eingestuft. Erst nach der Unterschriftensammlung sind die Initianten hier zurückgekrebst und haben in einem zweifelhaften schritt Bio-zugelassene Pestizide aus dem Geltungsbereich ausgeschlossenen, um die politische Akzeptanz ihrer Initiative zu steigern.
Weitere Informationen
- Agroscope-Studie schätzt Folgen der Trinkwasserinitiative ab, Agroscope Medienmitteilung, 13.06.2019
- Alena Schmidt, Gabriele Mack, Anke Möhring, Stefan Mann, Nadja El Benni: «Folgenabschätzung Trinkwasserinitiative: Ökonomische und agrarstrukturelle Wirkungen» Agroscope Science Nr. 83, Juni 2019 (PDF, 2 MB)
- BLW-Chef Lehmann findet Initiativen unethisch, LID.ch, 14.06.2019