Agroscope-Tagung 2020: Nachhaltigkeit und Pflanzenschutz – Innovationen für die Landwirtschaft
Die Anforderungen an den Pflanzenschutz steigen stetig. Die lokale Nahrungsproduktion soll unterstützt, und zugleich die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft verbessert werden. Die Agroscope Nachhaltigkeitstagung 2020 zeigt vielversprechende innovative Ansätze, aber auch die Schwierigkeiten bei der Entwicklung alternativer Lösungen auf.
«Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen im Pflanzenschutz», betonte Agroscope-Chefin Eva Reinhard zu Beginn der 7. Nachhaltigkeitstagung am 23. Januar 2020 in einem mit über 200 Personen voll besetzten Hörsaal der Universität Bern. Tatsächlich hängen rund 30 % bis 60 % der Erträge von den Landwirten und deren Einsatz zur Bekämpfung von Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern ab. Unter dem Einfluss des Klimawandels und der Globalisierung treten neue Problemorganismen auf. Die Zahl der zugelassenen Pflanzenschutzmittel nimmt ab und teilweise fehlen Alternativen. Die Gesellschaft erwartet eine naturnahe Landwirtschaft, qualitativ hochwertige und pestizidfreie Lebensmittel.
Dies erfordert grosse Anstrengungen der Wissenschaft und Innovationen auf verschiedenen Gebieten: so werden Alternativen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln geprüft, widerstandsfähigere Pflanzensorten gezüchtet, die Applikationstechniken für Pflanzenschutzmittel verbessert. Auch besseren Vorhersagesystemen, und der Nutzung digitaler Daten im Rahmen der Präzisions-Landwirtschaft, kommt eine grosse Bedeutung zu. In dreizehn Vorträgen zeigten Forschende, Agronomen sowie Spezialisten für Krankheiten, Schädlinge, Boden und Pflanzen von Agroscope, von Partner-Organisationen, von Hochschulen und aus der Industrie auf, wie die öffentliche und privatfinanzierte Forschung mit diesen Herausforderungen umgeht, und welche Alternativen und ergänzenden Lösungen es zum Einsatz von Pestiziden gibt.
Alain Gaume, Leiter Forschungsbereich «Pflanzenschutz» bei Agroscope, zur Zukunft im Pflanzenschutz
FiBL-Direktor Urs Niggli gab als Einleitung der Tagung eine Übersicht zum «Pflanzenschutz in agrarökologischen Anbausystemen». Zwar sei es der globalen Landwirtschaft in den letzten Jahren gelungen, durch Ertragssteigerungen mit dem wachsenden Nahrungsbedarf der Weltbevölkerung Schritt zu halten. Dies habe aber die verfügbaren Ressourcen überstrapaziert, und sei daher auf Dauer nicht nachhaltig. Durch biologische und agrarökologische Anbausysteme könnten Ressourcenbedarf und -Angebot in Einklang gebracht werden, allerdings seien aufgrund der reduzierten Produktivität dieser Systeme einschneidende Anpassungen erforderlich. Dazu gehören eine starke Reduktion der Futtermittel-Produktion und damit des Fleischverzehrs zugunsten der Produktion von Nahrungspflanzen, sowie eine deutliche Verringerung von Lebensmittel-Verlusten. Ausserdem müssten landwirtschaftliche Systeme deutlich angepasst und viel stärker auf Vorbeugung ausgerichtet werden, so dass Pflanzenschutzmittel nur der allerletzte Ausweg seien. Dazu müsste auch ein gezieltes Management von Lebensräumen gehören, um die Vorteile einer hohen Biodiversität für die Kontrolle von Schädlingen auszunutzen. Die Forschungsfinanzierung sollte aus seiner Sicht vermehrt auf die Entwicklung komplexer Systeme ausgerichtet werden.
Der erste Block von Präsentationen beschäftigte sich mit den Thema Innovationen im Pflanzenschutz. Katia Gindro und Sylvain Schnee von Agroscope beschrieben Forschungsansätze zur Entwicklung von Alternativen zu herkömmlichen Fungiziden, die bereits seit über zehn Jahren verfolgt werden. Dabei werden zahlreiche Wirkstoffe aus der Natur isoliert und auf ihre Wirksamkeit geprüft, zum Beispiel Extrakte aus Pilzen oder Pflanzen. Vielversprechend ist ein Extrakt aus Rebenholz, dessen Wirksamkeit seit Jahren ständig weiterentwickelt wird, wobei allerdings für eine Anwendung im Rebbau noch verschiedene technische Hindernisse (z. B. Lichtempfindlichkeit des Wirkstoffs) überwunden werden müssen. Auch ein von Biorem entwickelter natürlicher Wirkstoff zeigte in Feldversuchen eine gute Wirkung, wobei die enge Grenze zwischen Wirksamkeit und Schädlichkeit für die Pflanzen noch optimiert werden muss.
Giselher Grabenweger von Agroscope beschrieb die faszinierenden Möglichkeiten, insekten-befallende Pilze zur Bekämpfung von Schadinsekten einzusetzen. Tatsächlich existieren hier bereits einige praktische Lösungen, allerdings besteht auch noch grosser Forschungsbedarf, um das grosse Potential dieses Ansatzes für weitere Schädlinge und Kulturen zu realisieren. Matthias Brandl, Head R&D Biologicals, Syngenta präsentierte die Vision eines forschenden Unternehmens für den Pflanzenschutz der Zukunft. Eine Kombination von verbessertem Saatgut, innovativen Applikations- und digitalen Lösungen, zusammen mit neuen Pflanzenschutzmitteln sollen Erträge sichern und die Nachhaltigkeit verbessern. Eine besondere Rolle spielen dabei Biologicals, z. B. pflanzliche Wirkstoffe und Mikroorganismen. Intensive Forschungsaktivitäten sollen das Portfolio dieser Wirkstoffe ausbauen, für die nähere Zukunft wird ein deutliches Wachstum des Marktes erwartet. Diese Ansicht teilt auch Martin Günter, CEO, Andermatt Biocontrol Suisse, der eines der Pionierunternehmen des biologischen Pflanzenschutzes leitet. Mit dem Einsatz von Nützlingen, von Viren gegen Schadinsekten, Nematoden gegen Bodenschädlinge und Verwirrungstechnik im Obst- und Weinbau begleitet das Unternehmen eine stetige Entwicklung in Richtung zunehmend biologischen Pflanzenschutzes.
Ali Asaff Torres, R&D Director von Innovak SA zeigte auf, wie durch die gleichzeitige Gabe nützlicher Mikroorganismen und von Substanzen mit positiver Auswirkung auf die Bodenqualität sowohl die Gesundheit von Nutzpflanzen verbessert als auch Erträge und Erntequalität gesteigert werden können.
Der nächste Vortrags-Block widmete sich dem Weg von der Innovation zur Zulassung. Jürgen Kohl, Biointeractions and Plant Health, WUR Wageningen berichtete von den Chancen und Herausforderungen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und privaten Unternehmen. Oft finden Grundlagenforscher vielversprechende, neuartige Pflanzenschutz-Ansätze, beachten bei ihrer Entwicklung aber nicht mögliche Probleme bei der praktischen Anwendung (z. B. Kosten). Hier kann eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen während des ganzen Entwicklungs-Prozesses kostspielige und zeitaufwändige Irrwege vermeiden. Min Hahn von der Sektion Biotechnologie, BAFU zeigte auf, dass auch bei alternativen oder biologischen Verfahren der Schädlingsbekämpfung nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt möglich sind. Die Zulassungsbehörden müssen diese ebenso wie für herkömmliche Pflanzenschutzmittel im Rahmen des Vorsorgeprinzips seriös und gründlich abklären, bevor eine Anwendung freigegeben werden kann.
Zum Thema Boden- und Unkrautmanagement beschrieb Marcel van der Heijden von Agroscope den grossen Einfluss der Boden-Mikroorganismen auf Wachstum und Wohlergehen von Nutzpflanzen. Eine gezielte Beeinflussung der Arten-Zusammensetzung der Bodenlebewesen, z. B. durch gezielte Zugabe nützlicher Mikroorganismen, kann den Bedarf an Dünger und Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Allerdings ist die Wirkung solcher Behandlungen sehr variabel, und es ist noch viel Forschungsarbeit erforderlich, um sie routinemässig und zuverlässig einsetzen zu können.
Die abschliessende Themengruppe beschäftigte sich mit Risikomanagement, Roboterisierung und wirtschaftlicher Effizienz. Pierre-Henri Dubuis von Agroscope stellte die Vorhersage-Plattform Agrometeo vor. Sie ermöglicht es, anhand aktueller Witterungsdaten unter Berücksichtigung der aktuellen Befallsituation Vorhersagen zur Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen zu machen und so gezielt Empfehlungen für den gezielten Einsatz von Pflanzenschutz-Massnahmen auszusprechen. «Autonome Fahrzeuge und Drohnen für den Pflanzenschutz» waren das Thema von Thomas Anken von Agroscope. Für die Unkrautbekämpfung stehen bereits diverse Systeme, wie zum Beispiel selbständig fahrende Feldroboter, die Unkraut mit Kameras identifizieren und gezielt vernichten, zur Verfügung. Für die Schädlingsbekämpfung stecken die Lösungsansätze erst in den Kinderschuhen, da Tiere (z. B. Insekten, Schnecken) schwerer aufzufinden und dazu noch mobil sind. Am wenigsten weit fortgeschritten sind Technologien zur technologischen Eindämmung von Krankheiten, da hier die zuverlässige Erkennung durch Kamerasysteme und Sensoren sehr anspruchsvoll ist. Schliesslich berichtete Alexander Zorn von Agroscope über «Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz alternativer Pflanzenschutzmassnahmen» – wenn Landwirte über den Einsatz neuer Methoden entscheiden, spielen diese Faktoren natürlich eine entscheidende Rolle.
In seinem Schlusswort zur Tagung fasste Alain Gaume, Leiter des Forschungsbereichs «Pflanzenschutz» bei Agroscope, noch einmal die grossen Herausforderungen für die Landwirtschaft zusammen. Er betonte, dass aufgrund der sich wandelnden Rahmenbedingungen Pflanzenschutz immer anspruchsvoller wird, und bei manchen Kulturen wirksame Lösungen zunehmend fehlen. Daher seien Innovationen in vielen Bereichen – von der Entwicklung neuer Pflanzenschutzmittel, über zielgerichtete Applikationstechnologien, robustere Pflanzensorten, bis hin zum Ausbau effizienterer und besser integrierter Agrarsysteme – dringend erforderlich. Agroscope leistet dabei, in Zusammenarbeit mit Partnern, anderen Forschungsorganisationen und der Wirtschaft, einen wichtigen Beitrag.