4. Tagung zum Aktionsplan Pflanzenschutzmittel: der Rebbau im Fokus
Am 5. September 2019 fand in Pully die 4. Tagung zum Aktionsplan Pflanzenschutzmittel statt. Die zahlreichen Teilnehmer wurden über den aktuellen Stand der Massnahmen informiert und diskutierten darüber. Der diesjährige Fokus der Tagung war die Forschung und Praxis des Pflanzenschutzes im Bereich Rebbau.
Im September 2017 hat der Bundesrat den Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) verabschiedet. Bereits im Vorfeld wurden alle interessierten Kreise in die Ausarbeitung der Massnahmen eingebunden, 2015 fand die erste Tagung zum Aktionsplan statt. Die Behörden legen seither an jährlichen öffentlichen Tagungen, zu denen alle interessierten Organisationen, Verbände und Einzelpersonen eingeladen sind, Rechenschaft über die laufenden und geplanten Aktivitäten ab. Zudem werden spezielle Themen vertieft behandelt, im Jahr 2018 war dies der Schutz der Gewässer. Die Tagung 2019 fand in Pully statt, organisiert von BLW, BAFU, BLV, SECO und Agroscope.
Olivier Félix, Leiter des Fachbereichs Nachhaltiger Pflanzenschutz beim Bundesamt für Landwirtschaft BLW, informierte über den aktuellen Stand der Umsetzung des Aktionsplans. Seit der letzten Tagung im September 2018 wurden verschiedene neue Massnahmen eingeführt. Für einen Teil- oder Vollverzicht auf Herbizide auf der offenen Ackerfläche können Landwirte einen Beitrag von CHF 250.-/ha jährlich erhalten (Agridea Merkblatt). Nur noch ein kleiner Teil der zugelassenen Pflanzenschutzmittel ist für die nicht berufliche Verwendung, z. B. im Hobbybereich oder Hausgarten, bewilligt. Diese sind im Pflanzenschutzmittelverzeichnis des BLW entsprechend gekennzeichnet. Die kantonalen Kontrollen von Landwirtschaftsbetrieben zum Schutz der Gewässer werden auf den Bereich Pflanzenschutz ausgeweitet (z. B. Waschplätze für Spritzgeräte, PSM-Lager). Eine umfangreiche Analyse der guten fachlichen Praxis bei der Pflanzenschutz_Beratung durch Agridea zeigte verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten auf. Diese sollen auch durch die neu eingerichtete Plattform «Pflanzenschutzmittel & Gewässer» (Kontakt: Mirco Plath, mirco.plath@agridea.ch) umgesetzt werden. Für den besseren Anwenderschutz beim PSM-Einsatz fanden Workshops mit PSM-Herstellern und Fachexperten aus der Beratung statt, über 150 Personen nahmen an Schulungen teil.
Im Rahmen des Ressourcen- und Gewässerschutzprogramms laufen aktuell 13 regionale Projekte zur Reduktion der Anwendungen und Emissionen von PSM. Neu gestartet wurden im Jahr 2019 das AquaSan-Projekt (TG) für Spezialkulturen, PestiRed (IP Suisse) zur Entwicklung von alternativen Pflanzenschutzansätzen im Ackerbau, und PFLOPF (AG, TG, ZH) zur Verbesserung des Precision Farmings. Allein diese drei Projekte zusammen haben ein Budget von fast 32 Mio. SFr. Zwei neue Projekte von Agridea und Agroscope widmen sich dem Ausbau des Monitorings der PSM Anwendungen im Gemüsebau und in der Bio-Landwirtschaft. Insgesamt wurden 16 der insgesamt 51 Massnahmen des Aktionsplans PSM bereits eingeführt, 34 Massnahmen befinden sich in Erarbeitung. Der aktuelle Zwischenbericht mit Detailinformationen wurde Ende August 2019 veröffentlicht.
Verschiedene Massnahmen zeigen bereits deutliche Wirkungen. So nehmen die ohne Fungizide und Insektizide bewirtschafteten offenen Ackerflächen (z. b. Bio, Extenso) seit 2012 stetig zu auf mittlerweile über 55%; bei Reben und Obst verdreifachten sich die ohne Herbizideinsatz bewirtschafteten Flächen zwischen 2015 und 2018 auf inzwischen fast 15%. Sowohl im Rahmen des Aktionsplans als auch der zukünftigen Agrarpolitik AP22+ sind neue und zusätzliche Massnahmen geplant, so im Bereich Zulassung von PSM und bei den Direktzahlungen als Steuerinstrument für einen nachhaltigeren Pflanzenschutz.
Passend zum Tagungsort Pully in der Weinregion Lauvaux, dem Standort des auf Weinbau und Züchtung spezialisierten Forschungszentrums von Agroscope, lag der Schwerpunkt der Tagung auf dem Pflanzenschutz für Weinreben. Der Weinbau spielt für die Schweiz eine wichtige kulturelle und wirtschaftliche Rolle. Der Anbau der Reben ist allerdings sehr anspruchsvoll, die die Pflanzen empfindlich gegen verschiedene Krankheiten und Schädlinge sind. Pflanzenschutz-Massnahmen sind daher unerlässlich.
Der IP-Winzer Stéphane Kellenberger (Vin d’Oeuvre, Loèche-Ville,VS) und der Bio-Winzer Pierre Lambert (Domaine des Coccinelles, Chez-le-Bart) stellten aus ihrer Sicht die Herausforderungen der Umsetzung des Aktionsplans im Rebbau dar. Beide betonten die starken jährlichen Schwankungen bei Klima sowie Krankheits- und Schädlingsdruck. Es erfordert viel Erfahrung, die Situation richtig einzuschätzen und die geeigneten Massnahmen zu treffen. Die Einführung neuer, aber bisher noch unerprobter Massnahmen ist daher stets auch mit einem Risiko verbunden, führt aber zu einem Gewinn an Wissen und ermöglicht so langfristige Verbesserungen. Sowohl im IP- als auch im Bio-Weinbau ist der Einsatz von Spritzmitteln für den Pflanzenschutz unerlässlich. Auf dem IP-Weingut wurde der Spritzplan (6 – 7 Behandlungen pro Saison) in den letzten Jahren kontinuierlich angepasst, klassische PSM wurden zunehmend reduziert und auch im Bio-Landbau zugelassene Spritzmitel eingesetzt. Auf dem Bio-Betrieb wurden die meisten Reben 12 – 13 mal jährlich gespritzt, mit Schwefel, Kupfer, Tonerde und Fenchelöl.
Beide Rebbauern zeigen auf, dass durch verbesserte Bewirtschaftungs-Methoden (z. B. Management von Beikräutern im Unterstockbereich), Einbezug optimaler Informationen (z. B. AgroMeteo-Wetterinformationen und Behandlungsempfehlungen) und die Auswahl geeigneter krankheitsresistenter Rebsorten ein deutliches Verbesserungspotential beim Pflanzenschutz besteht. Pilz-widerstandsfähige (PIWI)-Rebsorten benötigten auf dem Bio-Betrieb 5-6 mal weniger Pflanzenschutzmittel. Auch für den IP-Betrieb werden die grundsätzlichen Chancen eines verstärkten Anbaus pilzresistenter Neuzüchtungen betont. Allerdings handelt es sich dabei um am Markt noch nicht etablierte Sorten. Der Ersatz herkömmlicher bekannter Sorten wie Pinot Noir, Chasselas oder Chardonnay durch Neuzüchtungen bringt daher ein deutliches Markt- und Absatzrisiko mit sich. Beide Rebbauern betonen für den gegenwärtigen Weinbau die Bedeutung von Kupfer-Spritzmitteln für die Bekämpfung von Pilzkrankheiten, trotz ihrer ökologisch unerwünschten Nebenwirkungen. Daher begrüssen sie Forschung für die Entwicklung verbesserter Pflanzenschutzmittel, sowie die Fortführung der Züchtungsansätze für krankheits-resistentere Reben.
Olivier Viret, Leiter des Centre de compétences vitivinicoles et cultures spéciales des Kantons Waadt, vermittelte geschichtliche Hintergründe des Pflanzenschutzes im Rebbau. Im 19. Jahrhundert bedrohten Krankheiten (echter und falscher Mehltau) und Schädlinge (Reblaus) zunehmend die Weinproduktion in Europa und in der Schweiz. Da sich die Züchtung unempfindlicher Rebsorten aufgrund der unbefriedigenden Wein-Qualität als wenig erfolgreich herausstellte, standen chemische Bekämpfungsansätze lange Zeit im Zentrum. Über die Jahre wurden zahlreiche Pflanzenschutzmittel eingesetzt, und zum grossen Teil aufgrund nicht akzeptabler Nebenwirkungen wieder verboten. Heute steht daher nur ein kleines Spektrum von Wirkstoffen zur Verfügung, was die Effizienz des Pflanzenschutzes beeinträchtigt und das Risiko der Resistenzentstehung mit sich bringt. Andererseits ermöglichen neue Methoden speziell des integrierten Pflanzenschutzes, wie der Einsatz der biologischen Schädlingsbekämpfung gegen Spinnmilben oder der Verwirrungstechnik mit Pheromonen gegen den Traubenwickler eine deutliche Reduktion des Insektizideinsatzes, auch bei den Herbiziden ging die Zahl der verwendeten Wirkstoffe von 28 (1983) auf 8 (2019) zurück.
Weiterhin unerlässlich ist allerdings die Bekämpfung von Pilzkrankheiten. Hier bietet die exakte Dosierung der Wirkstoffe, die Auswahl des geeigneten Spritzzeitpunktes, die optimale Geräteeinstellung und die Wahl der besten Produkte im Rahmen der integrierten Produktion (IP) ein grosses Optimierungspotential für eine Reduktion des PSM-Einsatzes. «Natürliche Pflanzenschutzmittel» weisen bisher nur eine teilweise befriedigende Wirkung auf. Die grösste Chance für eine nachhaltige Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Bedarfs sieht Olivier Viret langfristig in der Züchtung geeigneter, resistenter Sorten – sofern sich diese am Markt durchsetzen können.
Ein Überblick zur Schweizer Pflanzenschutz-Forschung für den Rebbau vermittelten Alain Gaume, Leiter des Strategischen Forschungsbereichs «Pflanzenschutz» bei Agroscope, und Hans-Jakob Schärer, Leiter der Gruppe Pflanzenschutz-Pathologie am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Für die verbreitet angestrebte nachhaltigere Kontrolle von Pilzkrankheiten stellt sich die grosse Herausforderung, dass trotz intensiver Forschungsanstrengungen bisher kein neuer alternativer Wirkstoff identifiziert werden konnte der ebenso wirksam ist wie die etablierten konventionellen Pflanzenschutzmittel. Agroscope setzt daher auf eine mehrgleisige Strategie: Suche nach neuen Wirkstoffen, verbesserte Information der Anwender zum optimalen Wirkstoffeinsatz (z. B. via AgriMeteo), innovative Bekämpfungsstrategien (z. B. Drohneneinsatz zur gezielteren Ausbringung von PSM). Auch am FIbL wird nach neuen bio-kompatiblen Pflanzenschutzmitteln gesucht, vor allem als Ersatz für das problematische Kupfer. So wirkt das FiBL am europäischen Projekt RELACS (Entwicklung von alternativen PSM zur Reduktion von Kupfer) mit. Ein weiterer möglicher Ansatz ist die Identifikation von pilz-hemmenden Wirkstoffen aus der Lärchen-Rinde, die in Praxisversuchen eine vielversprechende Wirkung zeigten. Es ist allerdings noch ungewiss, ob diese für einen kommerziellen Einsatz als Pflanzenschutzmittel geeignet sind. Eine wichtige Forschungsachse des FiBL ist auch die Biodiversitäts-Förderung im Weinbau.
Sowohl FiBL als auch Agroscope sehen ein grosses Potential in der Züchtung neuer Rebsorten mit verbesserter Krankheits-Resistenz. Agroscope treibt daher ein innovatives Züchtungsprogramm voran, seit 2001 wurden über 8’500 Sämlinge getestet. Beide Forschungsinstitute sehen allerdings die Schwierigkeit, neu entwickelte Weinsorten kurzfristig am Markt zu etablieren. Daher wird auch die Entwicklung alternativer Pflanzenschutz-Ansätze weiter verfolgt, da auch aufgrund der internationalen Warenströme und der Klima-Erwärmung neue Schädlinge und Krankheitserreger nach Europa gelangen. Daher ist die Entwicklung nachhaltiger Bekämpfungsstrategien weiterhin von grosser Bedeutung.
Die Tagung zum Aktionsplan Pflanzenschutzmittel gab ausser den Fachvorträgen die Möglichkeit zum ausführlichen und nützlichen Austausch der Teilnehmer aus verschiedenen Branchen und Interessengruppen untereinander. Am Nachmittag konnten viele der präsentierten Themen durch praktische Anschauung an der Agroscope Forschungsstation vertieft werden, so die Züchtung resistenter Weinsorten, Ansätze für die verbesserte Bodenbearbeitung, die Forschung für bessere Pflanzenschutz-Wirkstoffe, standortgenaue Wettervorhersage und Behandlungsempfehlungen, sowie der korrekte Schutz der Anwender von Pflanzenschutzmittel durch die persönliche Schutzausrüstung. Im Anschluss gab es beim Apéro die Gelegenheit, sich von der hervorragenden Qualität der Weine aus widerstandsfähigen Rebsorten zu überzeugen.